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Interview John Adams (aus Concerto Magazin 4/97)

Komponieren in Zeiten der Poststilistik - John Adams
Während die Verkaufszahlen am Sektor der klassischen Musik dramatische Einbrüche verzeichnen, findet die amerikanische Spielart der zeitgenössischen Moderne, die Minimal Music immer noch ihre Hörerschaft. In einem Interview gibt einer ihrer bekanntesten Vertreter, John Adams, ueber die Entstehungszeit der Minimal Music, seine Beziehung zu Rock und Jazz, und über sein Dasein als zeitgenoessischer Komponist Auskunft.
Mit Qualitätsurteilen über Minimal Music ist man im europäischen Raum immer schnell zur Hand. Zu gefällig, zu kommerziell, zu oberflächlich, lauten die Bewertungen. Und zum Drüberstreuen fährt die europäische Musikkritik immer mit den dümmsten Klischees und Antiamerikanismen auf, so nach dem Prinzip, man habe es hier mit billiger und wertloser McMusik zu tun. Als anschauliches Beispiel erinnert man sich der Reaktion der englischen Musikpresse auf einen versäumten Abgabetermin einer Komposition des Minimalisten Steve Reich. Man verstehe gar nicht, warum der Komponist sein Werk nicht vollenden konnte, wo doch eine Fotokopiermaschine das doch leicht hätte erledigen können.
Minimal Music ist eben eine amerikanische Angelegenheit, ein Produkt eines freieren, aber eben auch publikumsorientierten Kulturbetriebes. Die Komponisten aus Übersee, etwa Terry Riley, Steve Reich, LaMonte Young oder Philipp Glass, um nur einige zu nennen, sind mit ihrer Musik näher am Ohr der Hörerschaft als ihre Kollegen hierorts. Wenngleich, es lässt sich nicht verheimlichen, die Minimal Music auch schön langsam in die Jahre gekommen ist, denn so richtig frisch wollen die jüngsten Werke von Glass und Reich nicht mehr klingen. Im Gegensatz zur europäischen zeitgenössischen Musik gelingt es ihnen aber, auch ein junges Publikum anzusprechen. Minimal Music ist fernsehtauglich, besitzt in ihren repetierten formalen Mustern psychedelisches und meditatives Potential, und lässt sich auch en passant konsumieren. Vielleicht ein Erfolgsgeheimnis.
John Adams wählt einen etwas anderen Zugang als die übrigen Minimalisten. Seine Musik ist weniger dogmatisch, weniger puristisch, und holt sich nicht strikt an formale Regeln der Minimalisten. In seinen Werken finden sich jazzige Elemente, und einen gewissen Hang zur Spätromantik kann er wohl auch nicht abstreiten, in seiner Selbstbeschreibung ein typischer Komponist der poststilistischen Epoche eben. Am bekanntesten wurde er wohl mit seiner Oper "Nixon in China3", die sich, völlig opernunüblich, eines Stoffes der Tagespolitik annahm. Anlässlich seines Konzertes in Wien, übrigens das letzte in der Konzerthaus-Reihe "Musik aus Amerika", ein Gespräch mit John Adams.




Ich möchte mit einigen Fragen zu ihrer Biographie beginnen: Ihr Vater war ein Jazz-Saxophonist?
Ja. Aber er war nicht berühmt. Er hat sich und seine Familie während der großen Depression in den 30- und 40-Jahren unterstützt, indem er in einer Band gespielt hat. Meine Mutter war eine Amateursängerin, die in lokalen Produktionen von Broadway-Shows gesungen hat. Und mein erster Bühnenauftritt war in dem Musical South Pacific, wo ich den kleinen polynesischen Jungen gesungen habe, und meine Mutter spielte die Rolle der Bloody Mary. Wir hatten also eine Menge an interessantem Jazz und Broadway Musik in unserem Haus, als ich aufwuchs.



Hat sie der Jazz beeinflusst?
Oh ja, absolut. Ich hatte während meines ganzen Lebens immer eine enge Beziehung zu amerikanischer Popmusik und zum Jazz. In den 60-Jahren war ich ein College-Student, und das war eine Periode großer Kreativität in Amerika, speziell die Zeit zwischen 1965 und 1970. Es hat nicht lange gedauert, aber das war die Zeit, als die Rockmusik in voller Blüte stand. Ich war in einem sehr zarten Alter, und das alles hatte ungeheure Wirkung auf mich. Da waren diese großartigen Bands, alles von den Beatles über Paul Butterfield bis zu den Supremes, die Motown Bands und die San Francisco Bands, und zur selben Zeit gab es diesen fabelhaften Jazz, John Coltrane, Ornette Coleman, Eric Dolphy, Bill Evans und so weiter ....



Und diesen Einfluss spürt man auch in ihrer Musik?
Sicher. Andererseits bin ich das, was man, in Ermangelung eines besseren Ausdrucks, einen "klassischen" Komponisten nennt. Ich bin kein Jazzkomponist, nicht einmal jemand wie Keith Jarrett oder Frank Zappa. Ich schreibe für Orchester und meine Welt ist die Welt der klassischen Musik, aber andere Elemente kommen in meiner Musik immer wieder vor, und das ist mit einer Reihe von amerikanischen Komponisten der Fall. Es taucht in sublimierter Form auf. Es klingt nicht vordergründig nach Rock´n´Roll, aber man kann den Puls fühlen, und alles ist sehr tonal. Und meine Musik ist auch ziemlich aufgeladen und energetisch.



Was sind ihre Haupteinflüsse als klassischer Komponist?
Als kleiner Junge wuchs ich auf in einer Familie, in der die Musik eine wichtige Rolle spielte. Meine Mutter sang, mein Vater spielte Klarinette und Saxophon, und ich begann mit ihm in Bands zu spielen, vorwiegend Marching Bands. Das war ein großer Einfluss. Zur selben Zeit bildete mich mein Vater zu einem guten Musiker aus. Ich lernte sehr früh das Klarinettenkonzert von Mozart, und ich war sehr interessiert an Schallplatten. Ich legte mir dann auch bald eine Plattensammlung zu, und mir gefiel alles von Bach bis Strawinsky, Copland und Gershwin, und zur selben Zeit hörte ich Jazz und später Rock. Alles war gleich wichtig für mich.



Und wie sind sie dann zur Minimal Music gekommen?
Man muss die Verhältnisse kennen, die in den amerikanischen Universitäten der 60-Jahre geherrscht haben. Es war eine sehr unglückliche Situation, weil der Grossteil der Professoren immer noch Anhänger der Schoenberg Ästhetik waren. Die Stimmung in der zeitgenössischen amerikanischen Musik war vor 30 Jahren so, wie es zum Beispiel in Wien bis zum heutigen Tage ist, wenn ich etwa einen Blick in das Programm des Festivals "Wien modern" werfe. Atonale Musik, Musik, die im Grunde sehr hässlich war, sehr intellektuell, und die kein Publikum hatte. Und ich wollte mein Leben nicht damit verbringen, so etwas zu schreiben. Meine Erfahrung von Musik war anders. Also habe ich Harvard nach dem Studium verlassen, und anstatt zum Studieren nach Europa zu gehen, zog ich nach San Francisco. Ich fühlte, dass das spirituelle und intellektuelle Klima im San Francisco der damaligen Zeit besser für mich sein würde. Kalifornien war offener, man fand mehr asiatische und lateinamerikanische Einflüsse. Die ersten minimalistischen Stücke hörte ich dann in den Siebzigern, und die hatten große Wirkung auf mich, weil alle Elemente enthalten waren, die Musik meiner Ansicht nach braucht, um verständlich zu sein: Tonalität, klare Strukturen, und am Wichtigsten für mich, die Musik war sehr sinnlich. Sie sprach den Zuhörer nicht nur auf der intellektuellen Ebene an, sondern auch auf einer sinnlichen Ebene, was Schoenberg und die ganze Zwölftontradition für mich nicht tat.



Philipp Glass hat in einem Interview einmal gesagt, dass die ersten Konzerte mit Minimal Music skandalöse Ereignisse waren. Und dass umgekehrt Anhänger der Minimal Music auf Konzerte mit zeitgenössischer europäischer Musik gingen, um zu provozieren und mit Tomaten zu werfen. Waren sie da auch dabei?
Na ja, in der Rückschau werden oft Dinge etwas verklärt und romantisiert. Aber ich kann mich erinnere, wie ich selbst im Lincoln Center in New York ausgebuht wurde. Ich glaube, es war 1983. Die "Grand Pianola Music" wurde gespielt, und das ist im Grunde auch ein skandalöses Stück. Aber es hat Spaß gemacht, eine minimalistische Komposition zu schreiben, die Elemente der Musik von Scott Joplin, Motown und Diana Ross vereint. Es war Unterhaltungsmusik ist besten Sinne, ich wollte, dass die Zuhörer Spaß an der Musik haben. Und nachdem die New Yorker Philharmoniker das Stück zu Ende gespielt hatten, verbeugte ich mich, und 20 oder 30 Leute im Publikum haben mich aufs Ärgste ausgebuht. Und das hat ziemliches Aufsehen erregt, weil die Zuhörer heutzutage normalerweise ihren Ärger nicht mehr zeigen. Aber in diesem speziellen Fall kamen schon die Emotionen hoch. In den Siebzigerjahren haben die Leute den Minimalismus gehasst. Man sagte, er sei billig, als ob man einen MacDonalds Burger isst oder einen Walt Disney Film ansieht. Man sagte, Minimalismus sei antiintellektuell, so als würde man der hehren Kunsttradition ins Gesicht spucken. Aber das selbe ist Alban Berg hier in Wien passiert, als er die Altenberg Lieder zum ersten Mal aufführte. Diese Sachen passieren eben.


Waren die Minimalisten jemals ein Kreis, eine Gemeinschaft?
Nein, das war niemals eine Gruppe. Aber ich kenne die anderen Minimalisten alle, und wir sind alle befreundet.
Wie denken sie über die europäische Tradition der zeitgenössischen Musik, also Schönberg, Boulez, Stockhausen?

Ist das etwas, was sie respektieren, aber in ihrer Musik nicht verwenden?
Genau, speziell für Boulez habe ich großen Respekt, und Schönberg natürlich, so schwierig er als Mensch war, als Komponist war er einer der einflussreichsten unseres Jahrhunderts. Das kann man nicht einfach übergehen. Aber die Musik interessiert mich nicht, und ich kann sie für meine Arbeit nicht gebrauchen. Auf der anderen Seite kann mich Boulez nicht gebrauchen, aber ich habe größten Respekt für ihn. Ich bin der Meinung, dass diese Musik in eine Richtung gegangen ist, wo es keine Möglichkeit der Entwicklung mehr gab, und sie hat ihr Publikum verloren. Ich habe Abende dirigiert, wo zeitgenössische Musik auf dem Programm stand, aber das Publikum blieb zu Hause. Vor einigen Wochen dirigierte ich das Pittsburgh Symphony Orchestra, wir spielten ein Stück von Frank Zappa mit dem Titel "Duprees Paradise", das Violinkonzert von Strawinsky und mein großes Orchesterstück "Harmonielehre", und die Hälfte des Publikums kam nicht. Sie wussten nicht einmal, was sie zu hören bekommen würden, aber sie wussten , dass es irgend etwas Zeitgenössisches war, und man nimmt automatisch an, dass es unangenehm werden würde. Man nimmt an, es klingt nach Schoenberg oder schlimmer, und bleibt deshalb lieber zu Hause.



In Europa füllt Boulez aber die Konzerthallen.
Ja, weil er ein Dirigent ist. Als Komponist hätte er wahrscheinlich am Ende seines Lebens ein bisschen Ruhm, wie Ligeti oder Stockhausen und er würde vielleicht hier in Wien oder in Paris die Säle füllen. Aber im Prinzip gründet sich sein Ruf auf seine Arbeit als Dirigent. Man muss hier ehrlich sein: Komponisten, die atonale Musik und Musik ohne Puls schreiben, haben das Publikum verscheucht. Das ist eine schreckliche Situation, wo es kein Vertrauen und keine Kommunikation zwischen dem Komponisten und dem durchschnittlichen Konzertbesucher, auch wenn er musikalisch informiert ist, gibt. Sogar Ligeti, der einen großen Namen hat, wir nennen das einen großen Fisch in einem kleinen Teich, hat keine Wirkung auf die Kultur in einer Art und Weise, wie ihn etwa Richard Wagner, Duke Ellington oder John Lennon hatte. Er hat einfach keinen Einfluss, oder nur in einem ganz eng begrenzten Raum.



Ligetis Musik wurde etwa auch als Filmmusik verwendet. Haben sie schon jemals für Film geschrieben?
Ich bin nach wie vor interessiert daran, aber das Problem ist, man muss für den Film sehr schnell komponieren, und normalerweise sind die Kompromisse inakzeptabel. Man komponiert etwas, und dann wird es hinter den Dialogen begraben. Und da bewundere ich Philipp Glass. Er ist der einzige lebende Komponist, der fähig war, in der Filmwelt zu arbeiten und seine Integrität zu bewahren. Aber sogar seine Filmmusik leidet unter den Kompromissen. Und das ist eine Schande, weil Film und Musik eine perfekte Mischung ergeben. Aber im Verhältnis zwischen Film und guten Komponisten hat es schon immer gekriselt.


Sie verwenden in ihren Stücken sowohl elektronische als auch akustische Instrumente.
Ja, in fast allen meinen Stücken verwende ich Synthesizer und Sampler in Verbindung mit akustischen Orchesterinstrumenten. Das schafft eine Klangwelt, die einzigartig ist. Ich mache das mehr als andere Komponisten, und es schafft auch eine Reihe von Problemen. Ein Dirigent oder ein Orchester, das nicht gewöhnt ist, mit diesen Instrumenten zu arbeiten, erliegt da oft schrecklichen Missverständnissen. Wenn ich dann nicht anwesend bin, weiß ich nie was passiert. Zum Beispiel gab es jetzt eine Produktion von "Nixon in China" in Wien, ich habe sie nicht gesehen, und ich habe deshalb keine Ahnung, was sie mit den Synthesizern gemacht haben.


Ist es für sie als Komponist eine Notwendigkeit, selbst zu dirigieren?
Ich dirigiere, weil ich es gerne mache. Ich habe damit als Teenager angefangen, und es ist sehr gut für mich aus einer Reihe von Gründen. Es ist ein guter Kontrast zur kreativen Arbeit. Als Komponist arbeitet man alleine und man wird sehr introvertiert. Manchmal werden Komponisten, die ausschließlich Musik schreiben und nichts anderes tun, sehr praxisfern und neurotisch. Und manche Komponisten sind berühmt dafür, neurotisch zu sein. Ich bewundere Mahler zum Beispiel, oder Leute wie Boulez und Bernstein, weil die kreativ waren, und im anderen Moment die eigene oder eine fremde Musik dirigieren, und das vervollständigt ihre Persönlichkeit. Deswegen ist es sehr wichtig für mich. Ja, und der angenehme Nebeneffekt ist, dass ich auf diese Weise meine Musik aufführen kann.